„Wenn dich alles verlassen hat, kommt das Alleinsein. Wenn du alles verlassen hast, kommt die Einsamkeit.“
Alfred Polgar
Die Welt macht Pause und du bist mittendrin. Unzählige Menschen sind wegen des Coronavirus gerade zu sozialer Isolation angehalten – es ist eine Bewegung, sich nicht zu bewegen. Wie geht es uns damit und kann Alleinsein vielleicht auch etwas Gutes bringen?
Das Coronavirus ist seit ein paar Wochen nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken. Die akuten Maßnahmen und Vorkehrungen zum Schutze der gefährdeten Risikogruppen werden gefühlt alle paar Stunden ausgebaut und wir sind dazu angehalten, unsere sozialen Kontakte weitestmöglich einzuschränken. Wenn möglich, das Haus nicht mehr zu verlassen.
Das bedeutet für viele Menschen erstmals:
Kontakte mit Personen, mit denen man vor der Krise Hobbys geteilt hat, sollen auf ein Minimum reduziert werden, Gemeinschaftlicher Austausch und Gruppentreffs können nur mehr über digitale Wege wahrgenommen werden. Festivals und Konzerte, Partys, Gruppensportarten und gesellschaftliche Aktivitäten, die uns früher den Alltag gerettet haben, fallen plötzlich ganz weg.
Viele von uns sehen sich das erste Mal mit dem Alleinsein konfrontiert. Du selbst befindest dich vielleicht gerade in dieser Situation und weißt noch nicht, was das Ganze mit dir machen wird.
Was du hier erfährst
1 Was ist soziale Isolation?
2 Soziale Isolation in Zeiten des Coronavirus
3 Was ist Einsamkeit?
4 Was ist Alleinsein?
5 Tipps für den Umgang
Soziale Isolation beschreibt das starke Einschränken (das durchschnittliche Maß der Kontakte einer Person wird deutlich reduziert) oder gar völlige Fehlen von sozialen Kontakten. Auch das Aufbauen größter Distanz oder die Absonderung von einzelnen Personen fallen unter diese Definition (Häcker und Stapf 2004).
Prinzipiell kann der Zustand sozialer Isolation durch verschiedene Faktoren hervorgerufen werden und ist oft nicht freiwillig:
All das kann dazu führen, dass du dich in eine Art Abschottung von deinen normalen sozialen Netzwerken begeben musst. Das kann im Extremfall bedeuten, dass du gar nicht mehr aus dem Haus kannst, keinen Kontakt zu Familie und Freunden aufnimmst und keinen Zugang zur Öffentlichkeit oder Gemeinschaften hast.
Mit einer Einschränkung unserer Kontakte will man aktuell möglichst wenig neue Infektionen erreichen, um die Kapazitäten der Krankenhäuser und des ärztlichen Personals nicht überzustrapazieren. Auf diese Weise soll eine zwar länger andauernde, aber flachere Infektionskurve angestrebt werden und somit genug Intensivstation-Betten für schwere Verläufe der Krankheit bereitstehen.
Diese Maßnahmen müssen wir gerade alle mittragen – und das bedeutet Einschränkungen. Menschen, mit denen du zusammenlebst, darfst du natürlich weiterhin in deinem Umfeld haben, soziale Kontakte außerhalb solltest du allerdings gerade nicht wahrnehmen. Wir sollen wenn möglich einfach daheim bleiben und bei nicht vermeidbaren Treffen einen Sicherheitsabstand zu anderen Personen einhalten.
Aktuell erleben wir also eine teilweise soziale Isolation. Das ist neu und herausfordernd – für jeden Einzelnen von uns.
„Menschen die in der Einsamkeit feststecken, haben nichts falsch gemacht. Niemand von uns ist immun gegen das Gefühl, isoliert zu sein, genauso wenig wie wir immun sind gegen Hungergefühle oder Schmerz.“
Cacioppo in „Loneliness“
Dank digitaler Möglichkeiten kannst du zumindest nach wie vor den Kontakt zu Menschen in unserem sozialen Umfeld aufrecht erhalten. Du kannst mit ihnen sprechen, sie auch auf deinen Bildschirmen sehen, aber nicht berühren oder umarmen. Das ist zwar keine komplette soziale Isolation, kann sich aber trotzdem so anfühlen.
Viele Menschen, vielleicht auch du, fühlen sich jetzt gerade einsam, weil sie für eine längere und unbestimmte Zeitspanne allein sein müssen.
Das Gefühl der Einsamkeit beschreibt nicht nur ein geringes Maß an sozialen Kontakten, sondern vor allem das substantielle Gefühl, verloren zu sein.
Man kann also beispielsweise in einem Raum voller Menschen sein, aber sich dennoch richtig einsam fühlen. Das ist kein schönes Gefühl und in Folge auch schädlich für die Gesundheit.
Wie schädlich zeigt eine Metaanalyse, die von Dr. Julianne Holt-Lunstad, Professorin für Psychologie und Neurowissenschaften an der Brigham Young University, mitverfasst wurde. Laut dieser erhöhen ein Mangel an sozialer Verbindung und das Gefühl von Einsamkeit das Risiko, verfrüht zu sterben und erhöhen das gesundheitliche Risiko so sehr wie das Rauchen von 15 Zigaretten pro Tag oder eine Alkoholkonsumstörung.
Außerdem wurde festgestellt, dass Einsamkeit und soziale Isolation doppelt so schädlich für die körperliche und geistige Gesundheit sein können wie Fettleibigkeit (Perspectives on Psychological Science 2015).
Tatsächliche und wahrgenommene soziale Isolation sind beide mit einem erhöhten Risiko für eine frühe Sterblichkeit verbunden. (…) Die Ergebnisse bleiben über Geschlecht, Dauer der Nachsorge und Weltregion hinweg konsistent, aber der anfängliche Gesundheitszustand hat Einfluss auf die Ergebnisse.
(Holt-Lunstad et al., Perspectives on Psychological Science 2015)
„Wenn dich alles verlassen hat, kommt das Alleinsein. Wenn du alles verlassen hast, kommt die Einsamkeit.“
Alfred Polgar
Mit diesem Zitat will Polgar wohl verdeutlichen: Zwischen den Begriffen „Einsamkeit“ und „Alleinsein“ gibt es einen maßgeblichen Unterschied und das Alleinsein an sich ist noch kein zwangsläufiger Verursacher für das Gefühl von Einsamkeit.
Die großteils unfreiwillige soziale Isolation aufgrund des Coronavorus wird aber höchstwahrscheinlich noch eine Zeit lang andauern, darauf können wir uns wohl einstellen.
Um die Zeit zu überbrücken und trotz Alleinsein nicht an Einsamkeit zu leiden, kannst du ein paar Dinge ausprobieren.
Meditation kann dir zwischendurch nicht nur helfen, dich zu entspannen, es soll sogar erholsamer sein als Urlaub. Beides trägt nicht nur dazu bei, sich schnell wohler zu fühlen, sondern wirkt sich auch positiv auf die Gesundheit aus (Epel et al. 2016).
Außerdem bringt es noch andere Vorteile mit sich – auch auf lange Sicht. So hat zum Beispiel eine Studie der University of California im Jahr 2018 ergeben, dass die durch intensives Meditationstraining entwickelten Fähigkeiten zur Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit bis zu sieben Jahre später erhalten bleiben (University of California 2018).
Mehr zu Wirkung von Meditation und wie du selbst einen Einstieg findest, erfährst du in unserem kostenlosen 10-tägigen Kurs mit geführten Meditationen, Übungen für den Alltag, Inspiration und Theoriewissen in Videoform.
Musik macht deinem Gehirn Freude. Und dabei sind keineswegs nur fröhliche Songs gemeint. Der österreichische Psychologe Marcel Zentner hat festgestellt, dass Menschen die Musikauswahl anhand der eigenen aktuellen Gemütslage treffen. Das dient zur Stimmungsregulation und ist wohl auch der Grund, warum wir uns bei Niedergeschlagenheit in melancholische Melodien flüchten.
Dr. Valorie Salimpoor vom Rotman Research Institute stellte fest, dass beim Musikhören veränderte Reaktionen des Herzschlags, der Atmung, der Körpertemperatur und des Hautwiderstands auftreten. Außerdem wird der Neurotransmitter Dopamin sowohl beim Musizieren als auch beim Hören von Musik in großen Mengen ausgeschüttet (Salimpoor et al. 2015).
Wie wäre es mit physischer Isolation, nicht sozialer Isolation? Viele, die sich gerade einsam fühlen, probieren vielleicht zum ersten Mal Treffen via Videochat aus. Manche Und wenn man nur einen Kaffee gemeinsam trinkt – es tut gut zu sehen, wie die andere Person auf das Gesagte reagiert. Ein Lächeln von den Menschen zu sehen, die man vermisst, ist schon etwas ganz anderes als nur die Stimme zu hören.
In der aktuellen Situation hat sich wohl noch niemand von uns befunden, deswegen ist es schwierig, fundierte Prognosen oder Ratschläge abzugeben. Und jeder, der Tipps gibt, sitzt wahrscheinlich auch gerade daheim und versucht das irgendwie zu verarbeiten. Ist doch auch irgendwie ein netter Gedanke.
„Selbst die Einsamkeit ist nicht absolut, weil das Individuum die Inhalte des Universums in sich trägt.“
Paul Tillichs in "Mut zum Sein“