„Wenn dich alles verlassen hat, kommt das Alleinsein. Wenn du alles verlassen hast, kommt die Einsamkeit.“
Alfred Polgar
– Doch so „einfach“, wie es die lieb gemeinte Ratschläge von Außenstehenden oftmals darstellen, ist es manchmal nun mal nicht. Für einen Außenstehenden ist das Leid einer depressiv erkrankten Person oftmals nicht nachvollziehbar und wird im Vergleich zu körperlichen Erkrankungen als Nichtigkeit abgetan. Doch es ist eben keine Nichtigkeit. Und es reicht auch nicht, sich „einfach mal eben zusammenzureißen“.
Das Ausmaß von Depressionen ist also unverkennbar. Die Zahlen machen deutlich, wie wichtig es ist, ein steigendes Bewusstsein für psychische Erkrankungen zu entwickeln.
Hast du dich schon mal nur noch schlechter gefühlt, nach dem du einen der oben genannten Ratschläge gehört hast? Oder hast du dich sogar dabei ertappt, einen dieser Tipps selber mal gegeben zu haben, weil du einfach nicht wusstest, was man sonst raten kann?
Damit so etwas nicht mehr vorkommen muss, werden in diesem Artikel sowohl für Betroffene als auch für Angehörige einige Informationen über das Krankheitsbild bereitgestellt, sodass klarer wird wie eine Depression eigentlich aussieht, wie sie entsteht und was dagegen helfen kann.
Was du hier erfährst
1 Bin ich depressiv?
2 Wie entstehen Depressionen?
2.1 Genetische Faktoren
2.2 Exkurs: Corona als Belastungsfaktor
2.3 Neurobiologische Faktoren
2.4 Gedankliche Faktoren
3 Wie kann Achtsamkeit helfen?
3.1 Achtsamkeit lässt sich lernen
3.2 Noch eine kleine Empfehlung zum Schluss
Die Frage, ob du an einer Depression erkrankt bist, kann dir nur aus professioneller Sicht eindeutig beantwortet werden. Psychotherapeuten und Ärzte orientieren sich dabei am ICD-10.
Das ICD-10 wird von der Weltgesundheitsorganisaton (WHO) veröffentlich und ist das relevanteste, weltweit anerkannte Klassifikationssystem für Krankheiten und verwandten Gesundheitszuständen. Es bietet Diagnosekriterien, anhand derer Ärzte und Psychotherapeuten beurteilen können, ob eine Erkrankung vorliegt oder nicht.
Die Diagnosekriterien für eine depressive Episode lassen sich unterteilen in die Haupt- und Nebenkriterien. Dabei bestimmt die Anzahl der erfüllten Hauptkriterien darüber, ob eine depressive Episode vorliegt. Die Anzahl der Nebenkriterien hingegen entscheidet über den Schweregrad der depressiven Episode (leicht, mittelgradig, schwer).
Zu den 3 Hauptkriterien zählen:
Es ist ganz alltäglich, dass man sich den ein oder anderen Tag mal freudlos oder auch antriebslos fühlt. Auch wenn dies mehrere Tage hintereinander der Fall ist, hat man nicht gleich mit einer Depression zu rechnen. Relevant für die Diagnose einer Depression ist, dass mindestens zwei der genannten Hauptkriterien über einen 14-tägigen Zeitraum andauern.
Hinzu können folgende Nebenkriterien vorliegen:
Die Nebenkriterien geben Auskunft darüber, wie stark die Depression ist:
Solltest du dich nun in den Kriterien wiedererkannt haben, nimm bitte ärztliche oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch. Du kannst dich dabei entweder deinem Hausarzt anvertrauen, oder aber auch direkt (ohne Überweisung) an einen Psychotherapeuten wenden. Denn sie können klarstellen, ob bei dir tatsächlich eine Depression vorliegt und dir gegebenenfalls direkt die richtige Hilfe anbieten, damit es dir schnell wieder besser geht.
Anders als bei den meisten körperlichen Erkrankungen, lässt sich die Entstehung der Depression nicht auf eine einzelne Ursache zurückführen. Vielmehr ist es das Zusammenwirken mehrerer Faktoren, das letztendlich zum seelischen Unwohlbefinden führen kann.
Der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand legt nahe, dass eine genetische Veranlagung bei Depressionen vorliegt. Depressionen treten familiär gehäuft auf: Ist ein Verwandter ersten Grades erkrankt, liegt das Risiko, selber eine Depression zu entwickeln, bei 15%. Außerdem zeigen Zwillingsstudien, dass die Wahrscheinlichkeit bei eineiigen Zwillingen an einer Depression zu erkranken 50% beträgt.
Wäre eine Depression ausschließlich durch die Gene bedingt, müsste bei eineiigen Zwillingen die Wahrscheinlichkeit aufgrund des identischen Erbguts bei 100% liegen. Doch nach dem Vulnerabilitäts-Stress-Modell bringen die Gene nur eine gewisse Anfälligkeit mit sich und lösen nur in Abhängigkeit von belastenden Umweltfaktoren eine Depression aus.
Für die Entstehung einer Depression, bedarf es also neben der genetischen Vorbelastung, noch äußeren Belastungsfaktoren (z.B. Jobverlust, Beziehungskrisen), die „das Fass zum Überlaufen bringen“.
Ein solcher äußerer Belastungsfaktor stellt aktuell die Corona-Krise dar. Ein Ausnahmezustand, der durch andauernde Unsicherheit geprägt ist:
– All‘ das auf unbestimmte Zeit, denn niemand kann uns sagen wann der ganze Spuk ein Ende nimmt und wir wieder zu unserem normalen Leben zurückkehren können.
Grade in solchen Krisensituationen hilft uns normalerweise soziale Unterstützung, um den Stress abzufedern und besser mit belastenden Situationen umzugehen.
Doch zu allem Überfluss fällt dieser Schutzfaktor grade jetzt weg. Stattdessen heißt es „Social Distancing“, denn das ist nun einmal der einzige Beitrag, den wir leisten können um die Infektionsrate halbwegs einzudämmen und die Welt davor zu bewahren, komplett aus den Fugen zu geraten.
Doch mit dem „Social Distancing“ gehen auch Einsamkeitsgefühle einher. Die aktuelle Situation stellt also nicht nur einen Ausnahmezustand für die körperliche Gesundheit dar, sondern ist auch eine Belastungsprobe für die psychische Gesundheit. Mehr dazu in unserem Artikel über „Soziale Isolation in Zeiten des Coronavirus“.
Bei so viel Negativität von Außen ist es beinahe unmöglich sich nicht selber davon anstecken und runterziehen zu lassen. Dadurch können sich gerade bei Menschen, die psychisch vorbelastet sind, die Symptome nun verstärken.
Aber auch bei Nicht-betroffenen können die aktuellen Belastungsfaktoren für eine depressive Verstimmung sorgen. Hier einige Tipps, wie es dir gelingen kann, das Beste aus der Situation zu machen, ohne dabei in die Depression zu geraten:
Neben der Kombination aus einer genetischen Anfälligkeit und den äußeren Belastungsfaktoren, sind auch neurobiologische Faktoren für die Entstehung einer Depression verantwortlich. Viele Untersuchungen konnten zeigen, dass bei depressiven Patienten ein Ungleichgewicht der Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin und Dopamin vorherrscht.
Neurotransmitter sind Botenstoffe, die Signale zwischen miteinander verschalteten Nervenzellen übermitteln und so die Kommunikation zwischen bestimmten Hirnregionen ermöglichen.
Die genauen biologischen Wirkmechanismen sind nach aktuellem Forschungsstand noch unklar, aber es wird angenommen, dass bei depressiv Erkrankten eine erniedrigte Aktivität von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin vorliegt.
Dies wird dadurch bestätigt, dass Medikamente, die die Konzentration dieser Neurotransmitter verstärken, die depressive Symptomatik verringern. Es gibt also Medikamente, die helfen können, indem sie die Menge der Botenstoffe modulieren.
Doch in einem gewissen Maß kannst du auch ohne verschreibungspflichtige Psychopharmaka schon selber Einfluss auf den Neurotransmitterhaushalt nehmen und die Menge an Serotonin, Noradrenalin oder Dopamin in deinem Körper erhöhen.
Beispielsweise stellt Johanniskraut eine Alternative zu verschreibungspflichtigen Medikamenten dar. Johanniskraut ist ein pflanzliches Mittel, dem in zahlreichen Studien ein stimmungsaufhellender Effekt nachgewiesen werden konnte. Es modifiziert den Serotoninspiegel und lindert so leichte bis mittelgradige Depressionen.
Außerdem spielt die Ernährung eine wichtige Rolle. Zwar kann man kein Serotonin über die Nahrung aufnehmen, allerdings gibt es bestimmte Lebensmittel, die Tryptophan enthalten. Bei Tryptophan handelt es sich um eine Aminosäure, die die Vorstufe des Serotonins ist.
Nimmt man tryptophanreiche Nahrungsmittel auf, so wandelt der Körper das in Serotonin um und sorgt dafür, dass der Serotoninspiegel erhöht wird. Empfehlenswert sind daher Lebensmittel mit einem hohen Tryptophangehalt wie beispielsweise Schokolade, Cashew-Kerne, Sojabohnen und Edamer.
Ein weiterer wichtiger Faktor mit dem man den Neurotransmitterhaushalt begünstigen kann ist regelmäßige Bewegung. Sport stimuliert ebenfalls die Freisetzung von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin und trägt so zum Wohlbefinden bei.
Die eigene Gedankenwelt trägt einen großen Teil zum Ausmaß einer Depression bei, denn
Unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen sind also eng miteinander verstrickt und beeinflussen sich gegenseitig. Wie groß die Macht der Gedanken ist, kann auf den ersten Blick vielleicht ein wenig erschreckend wirken, stellt auf den zweiten Blick aber einen großen Vorteil dar:
Denn anders als die genetischen Vorbelastungen und die neurobiologischen Vorgänge, können wir unsere eigenen Gedanken nämlich viel stärker beeinflussen und können in eine bestimmte Richtung lenken.
Dafür müssen wir aber zunächst wissen, wie sich überhaupt schädliche Gedankenmuster äußern, die zu einer Depression führen: Depressionen zeichnen sich durch ständiges Grübeln aus. Quälende Gedanken drehen sich dabei unaufhörlich im Kreis und nehmen kein Ende.
Die kognitive Theorie vom Psychotherapeuten Aaron T. Beck geht davon aus, dass eine Depression durch gewisse Denkfehler entsteht. Diese Denkfehler lassen sich unter der sogenannten „Negativen Triade“ zusammenfassen.
Die „Negative Triade“ beinhaltet negative Überzeugungen von sich selbst (1), von der Umwelt (2) und von der Zukunft (3). Das Selbst, die Umwelt und die Zukunft werden also auf gedanklicher Ebene negativ verzerrt wahrgenommen und führen somit auf emotionaler Ebene zu Freudlosigkeit und Antriebsarmut.
Auf Handlungsebene äußern sich diese negativen Verzerrungen darin, dass die Person passiv bleibt und nichts gegen ihre Einsamkeit unternimmt, da sie keine Hoffnung hat, dass sich daran je etwas ändern wird. Auf Gefühlsebene bleiben so die Einsamkeitsgefühle bestehen und verstärken die depressive Symptomatik. Doch dieser negativ verzerrten Sicht der Realität sind sich die Betroffenen oftmals gar nicht bewusst. Was sie lediglich spüren ist die Antriebslosigkeit und die gedrückte Stimmung, die daraus resultiert, aber nicht die Gedankengänge, die dahinter stecken.
Um aus solchen Denkfehlern und Grübeleien heraus zu kommen, ist es aber wichtig sie in dem Moment, in dem sie aufkommen, zu erkennen, ohne sich dafür zu verurteilen. Damit dies gelingt, bedarf es der Achtsamkeit.
Oftmals sind Betroffene durch das ständige Grübeln mit ihrer Aufmerksamkeit ständig in der Vergangenheit oder in der Zukunft unterwegs. Es werden bereits vergangene Szenarien abermals im Kopf durchgespielt und man fragt sich, was man hätte besser machen können. Oder man plagt sich mit Sorgen und Ängsten, die erst die Zukunft betreffen.
Achtsamkeit hingegen bedeutet hellwach im Hier und Jetzt zu sein und den gegenwärtigen Moment bewusst wahrzunehmen – sowohl körperlich, als auch mental. Der entscheidende Aspekt ist dabei, dass der Moment ganz ohne Wertung wahrgenommen wird. Man lässt also davon ab einen Moment zu beurteilen, sondern nimmt ihn einfach nur ganz bewusst wahr und akzeptiert ihn.
Auf diese Weise gelingt es, die Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment zu richten, ohne sich in negative Gedankenspiralen über die Vergangenheit und die Zukunft zu verfangen.
Wie das funktioniert lernst du zum Beispiel in unserem 10-tägigen Grundlagenkurs, den du ganz einfach und bequem online per E-Mail durchführen kannst.
Eine Therapiemethode, die das Erlernen von Achtsamkeit zum Gegenstand hat, ist die Mindfulness-Based Stress Reduction (kurz: MBSR) des Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn.
Die MBSR ist ein 8-wöchiges Trainingsprogramm, dass Sitzmeditationen, Body-Scans, Yoga-Übungen und weitere Achtsamkeitselemente beinhaltet. Bei allen Übungen liegt der Fokus auf dem nicht-wertenden Annehmen des augenblicklichen Moments.
Zahlreiche Studien konnten die Effizienz der MBSR-Therapiemethode nachweisen (Baer 2003). So konnten beispielsweise Forscher zeigen, dass Achtsamkeit im Rahmen des Trainingsprogramms erlernt werden kann und zu einem verbesserten Wohlbefinden führt.
Achtsamkeit hilft dabei die Grübeleien einzudämmen, da sie augenblicklich erkannt und gestoppt werden könne. Das verringerte Grübeln geht automatisch mit einer Verbesserung der depressiven Symptomatik einher (Deyo et al. 2009).
Insbesondere Untersuchungen, die den Fokus auf die Achtsamkeitsmeditation gelegt haben, haben sich als außerordentlich hilfreich erwiesen (Ramel et al. 2004). Denn bei der Achtsamkeitsmeditation wird trainiert, die Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment zu richten und ihn ohne Wertung zu akzeptieren. So wird gelernt das Hier und Jetzt wahrzunehmen, ohne dass negative Gedanken über die Vergangenheit und die Zukunft einen daran hindern.
Darüber hinaus wurde herausgefunden, dass mit Hilfe von Meditation die Wahrscheinlichkeit verringert wird einen Rückfall zu erleiden und erneut an einer Depression zu erkranken (Kuyken et al. 2015).
Man geht davon aus, dass die Betroffenen durch die Meditationserfahrung eine bessere Kontrolle über ihre Gedankenwelt erlangen und so das Aufkommen schädlicher Gedankengänge viel schneller registrieren und stoppen können. Auf diese Weise gelingt es aus der negativen Gedankenspirale auszubrechen und einem erneuten Aufkommen der depressive Symptomatik entgegenzuwirken.
Wenn du das Gefühl hast, an einer Depression zu leiden, solltest du trotzdem in erster Linie professionelle Hilfe bei einem Arzt oder einem Therapeuten aufsuchen. Nur so können die individuellen Faktoren identifiziert werden, die bei dir für das Unwohlbefinden sorgen.
Hier kommst du zur Website der deutschen Depressionshilfe mit Info-Telefon, Forum und Hilfe vor Ort.
Im Rahmen einer Therapie können schädliche Denk- und Verhaltensmuster umgelernt werden. Gegebenenfalls kann auch in Absprache mit deinem Arzt durch Antidepressiva nachgeholfen werden. Doch oftmals sind die Wartezeiten für einen Therapieplatz lang und die Suche nach einem passenden Psychotherapeuten kann kräftezerrend sein. Auch Antidepressiva weisen eine sogenannte Wirklatenz auf, das heißt es sie müssen über einen längeren Zeitraum eingenommen werden, bevor sie ihre antidepressive Wirkung entfalten.
Um die Wartezeit zu überbrücken, kannst du selber aktiv werden und mit dem Meditieren anfangen. Dabei kann die Meditation nicht nur eine „Übergangslösung“ sein, sondern wie bei der MBSR-Methode auch in den Therapieprozess integriert werden und sowohl den Genesungsprozess beschleunigen, als auch vor Rückfällen schützen.